Loden – ein toller Stoff!

„Loden, Loden über alles“, jubelte kürzlich eine italienische Zeitschrift in einer Schlagzeile. „Loden hat so viel Charakter und ist so bequem“, schwärmen Pariser Modeschöpfer und deutsche Modemacher frohlocken: „Jung und alt trägt ihn – er ist eben in.“

Lodenmäntel, -anzüge und -kostüme sind so unverwechselbar und charakteristisch wie ein englisches Tweedjacket oder der schottische Tartan. Einst wurde dieser traditionsreiche Stoff von armen Holzfällern, Bauern und Fuhrknechten in Bayern und Tirol von Hand hergestellt und getragen. Heute, hat Loden die ganze Welt erobert. Webereien in Tirol stellen im Jahr vier Millionen Meter Lodenstoff her, genug, um eine Bahn von Lissabon bis nach Moskau auszulegen. Allein drei Viertel davon werden ausgeführt. Konfektionsbetriebe in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland produzieren jährlich vier Millionen Kleidungsstücke aus Loden – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Mäntel, Anzüge und Kleider werden selbst nach Abu Dhabi am Persischen Golf und nach Tokio exportiert.

Loden wird im 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Rohprodukt ist von jeher Schafwolle – „lodo“ bedeutet im Althochdeutschen „Ballen“ oder „Haar“. Das Walken entdeckten die Bergbauern zufällig, als sie Wollstoffe durch Treten mit den Füßen in einem Wasserbottich reinigten. Durch das Stampfen ging der Stoff in Länge und Weite ein, verfilzte, wurde dick und nach dem Trocknen wasserabstoßend. (Schafwolle kann bis zu einem Drittel ihres Eigengewichts an Nässe aufnehmen, ohne sich feucht anzufühlen.) Um den filzartigen Charakter des Stoffes zu verstärken,  benutzten die Bauern Gerbsäure aus Eichenholz oder Walkerde aus Vulkangestein. Später errichteten mehrere Bergdörfer gemeinsam eine Loden-

walke. Hölzerne, mit Wasserkraft angetriebene Hämmer schlugen auf den nassen Stoff ein und verdichteten ihn.

Jahrhunderte lang war Loden die Kleidung der Landleute. Die Polizeiordnung Erzherzog Ferdinands II. von Tirol schrieb 1573 für den „gemain Pawrßmann, arbeitende Leute und Tagelöhner, auch ihre Weiber und Töchter“ vor, dass sie sich nur in die eigenen Lodenstoffe kleiden durften. Die Bauern trugen kniefreie Lodenhosen und „Hemeter“ – lange Lodenröcke in Weiß, Rot, Braun und Schwarz -, dazu Lodenwesten und Stiefel aus Lodenstoff. Zur Aussteuer eines Bauernmädchens gehörte Loden fürs ganze Leben.

Die Geschichte verrät uns nicht, wer den ersten Mantel aus Loden geschneidert hat. Doch Sankt Hubertus, der Schutzheilige der Jäger, wird auf mittelalterlichen Gemälden oft im „Lodenfleck“ dargestellt, einer ärmellosen Pelerine mit einem Loch für den Kopf: dem Vorläufer des heutigen Mantels. „Sicher ist, dass es nur einen wirklich echten Lodenmantel gibt, den Hubertusmantel“, sagt Armin .Huber von der 1842 gegründeten Münchner Firma Loden-Frey, einem der größten Fabrikations- und Warenhäuser für Loden. Dieser Klassiker unter den Lodenmänteln, den schon Kaiser Franz Joseph von Österreich und Ludwig II. von Bayern zur Jagd trugen, muss wadenlang sein. Ein langer Schlitz in der Rückenmitte, Schlitze unter den Armen und Durchgriffe über den Taschen sorgen für Bewegungsfreiheit. Die Knopfleiste ist verdeckt, damit man nicht im Gebüsch hängenbleibt. Loden-Frey produziert heute noch pro Jahr 70000 Hubertusmäntel, und vier große österreichische Fabriken – Salko und Schneiders in Salzburg, Steinbock in Innsbruck und Maduson in Wien – stellen zusammengenommen jährlich weitere 212500 Stück her.

Im 19. Jahrhundert wurden dann verschiedene Anzugmodelle geschneidert. Der Salzburger besitzt moosgrüne Aufschläge am Jackett, während beim Tegernseer Knöpfe bis zum Kragen hoch laufen. Der Ausseer hat reiche Stickereien an Aufschlägen, Taschen und Ärmeln, der Hohenloher ist eine kurze, im Rücken verlängerte Jacke.

Der Steirer ist besonders populär. Das verdankt er dem österreichischen Erzherzog Johann, einem Enkel der Kaiserin Maria Theresia. „Als ich den grauen Rock in der Steiermark einführte“, schrieb er seiner Frau im November 1824, „geschah es, um ein Beispiel der Einfachheit in Sitte zu geben. Der graue Rock wurde Ehrenrock!“

In den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts entdeckte der Adel in aller Welt die Vorzüge des wetterfesten, einst bäuerlichen Gewebes. 1927 trug der Prince of Wales, der zu den bestgekleideten Männern seiner Zeit gehörte, einen Lodenanzug. Sein Beispiel machte Schule, und noch heute gehören das englische und das griechische Königshaus zu den festen Kunden von Loden-Frey. Der Lodenmantel wurde zum Inbegriff noblen Understatements. Je abgetragener so ein Kleidungsstück ist, desto mehr wird es geschätzt.

Ein echter Lodenmantel ist ab 400 Mark zu haben. Doch seine Qualität macht ihn zum Begleiter für ein ganzes Leben. Bei Loden-Frey beschwerte sich kürzlich ein Münchner, der vom Großvater einen Lodenmantel geerbt hatte, dass die Knopflöcher sich abscheuerten. „Schließlich muss er doch in der dritten Generation noch- etwas aushalten“, schrieb der Mann empört.

Anfang der 50er Jahre nahmen dann Pariser Modeschöpfer die Lodenkotze, die heute noch die Wiener Briefträger und Fiaker tragen, und führten sie als Cape in die Haute Couture ein. Seither gibt es Loden mit edlem Nerzfutter, mit Ledereinfassung, gesteppte und sogar gestreifte und karierte Lodenstoffe. Man kann unter 80 verschiedenen Farben wählen – von Reinweiß bis zu Königsblau und Quittengelb. Der Moderenner ist zurzeit Bordeauxrot. Auf dem High-Society-„Jägerball“ in Wien trägt man den Alpensmoking aus feinstem, wie Samt glänzendem Loden mit Silberknöpfen.

Nur rund ein Dutzend Webereien und etwa 100 Kleiderfabriken in Tirol und Bayern stellen Originallodenstoff und -lodenkleidung her. In Tirol gehört die Innsbrucker Firma Baur-Foradori zu den größten Webereien.

Sie wurde 1814 gegründet. Andere traditionelle Lodenwebereien gibt es in Telfs und Mühldorf.

Heute setzt man der Schafschurwolle, die man aus Australien, Südafrika, Südamerika und Neuseeland bezieht, Alpaca, Mohair, Kamelhaar und Lama zu. Das Walken besorgen mächtige Maschinen. Unter Nässe und Wärme läuft der Rohstoff zwischen Walzen und Backen durch und wird dabei von 60 Meter Länge auf bis zu 42 Meter und von 2,20 Meter Breite auf 1,50 Meter verdichtet. Darm rauht man den Stoff mit echten Distel- köpfen aus Südfrankreich und Spanien ein paarmal mit und gegen den Strich auf, genauso, wie es von Hand im Mittelalter geschah; dabei legen sich die Wollfasern wie Dachziegel übereinander. (Man hat viele Versuche mit eisernen Kratzhäkchen unternommen, aber nichts gibt einen so regelmäßigen, dichten Strich wie die natürlichen Disteln.)

Nach der chemischen Imprägnierung hält der Stoff seinen Träger genauso lange trocken wie jeder Popelinemantel. Zum Schluss schert man die heraushängenden Wollfasern ab und der Stoff wird gebürstet und gedämpft. Dann hat er den matten Glanz und den weichen Griff des echten Strichlodens. Ein guter Lodenmantel sollte alle Eigenschaften echter Qualitätswolle haben. Er muss wasserabweisend und knitterfrei, beim Tragen dazu noch leicht und äußerst strapazierfähig sein.